Dann habe ich ja mein Ziel erreicht.

Ich bin jetzt 57 Jahre alt und kann mich noch sehr gut an das Gejammere meiner Mutter erinnern. Sie hat mir und meinem Bruder (2 Jahre Altersunterschied) immer vorgeworfen, dass wir sie als schlechte Mutter dastehen lassen, weil wir uns permanent gestritten haben. O-Ton "Alle anderen Kinder machen das nicht, warum habe ich solche Kinder..."

Ich habe das gehasst, besonders weil ich genau wusste, dass das gar nicht stimmt - alle Geschisterkinder in unseren Freundeskreisen haben sich gestritten wie die Kesselflicker in einer bestimmten Altersstufe. Aufgrund dessen habe ich mir solche Äußerungen bzw. sogar Gedanken verkniffen, als es bei meinen Kindern losging.
Jedes meiner Kinder wurde als Neugeborenes herzlich empfangen von seinen jeweiligen Geschwistern. Erst als die Jüngsten dann anfingen, eigenes Bewusstsein, eigenen Willen zu entwickeln, begannen die Kabbeleien, erst leicht, dann wurden zunehmend richtige Streitereien daraus. Die Mädchen haben sich da relativ schnell rausgenommen, bei den Jungs wurde es aber richtig heftig oder auch handfest als der Jüngste in den Kindergarten kam.
Zuerst war es noch ganz in Ordnung, aber als man im Kindergarten die beiden in verschiedene Gruppen gesteckt hat, weil man verhindern wollte, dass der Große sich zu sehr um den Kleinen kümmert (was er gerne gemacht hat und sich der Kleine auch gerne hat gefallen lassen) wurden die Konflikte zu Hause richtig schwer - das wurde mir allerdings erst rückblickend klar. Also habe ich sie zu Hause auch möglichst getrennt und mich permanent zwischen sie gestellt um ihre Konflikte zu vermeiden. Das war offenbar ein Fehler, es wurde immer schlimmer anstatt besser. Irgendwann war ich so fertig, dass ich aufgegeben habe und mir sagte, sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen, ich kann nicht mehr, da waren sie ungefähr 6/7 Jahre alt und jeder in einer anderen Grundschule. Sie haben sich nicht umgebracht, nur die Möbel haben etwas gelitten, auch die Türen und das eine oder andere Spielzeug ging kaputt. Ja, und sie haben gut rumgebrüllt, können meine Nachbarn sich heute noch dran erinnern. Ich habe mich nur noch eingemischt, wenn es sich wirklich gefährlich anhörte und habe dann jeden auf sein Zimmer geschickt - keine Ahnung, warum sie trotz der vielen Konflikte fast zwanghaft die Gesellschaft des anderen suchten.
Aus diversen anderen Gründen sahen wir uns gezwungen, den Kleinen von der Förderschule auf die Regelgrundschule, wo schon sein Bruder war, wechseln zu lassen als die beiden ca. 8 und 9 Jahre alt waren. In der Schule gab es keinen Streit, genauso wenig wie damals im Kindergarten. Und merkwürdigerweise wurde es ab da auch zu Hause besser. Aus teilweise richtigen Prügeleien wurden Wortgefechte, erst noch bösartiger und provzierender Natur, später dann auf eine leicht dissende Art und Weise mit einem Anflug von Humor. Deshalb gingen sie auch beide auf dieselbe weiterführende Schule, ich hatte das Gefühl, sie brauchen beide diese Form der Nähe und Gemeinsamkeiten. Ungefähr seit dem 7. Schuljahr des Jüngsten kommen die beiden gut miteinander klar (selbst das körperliche Kräftemessen in Form von spaßigen Rangeleien läuft problemlos, auch mit ihrem Vater), seitdem sie beide sogar im gleichen Betrieb arbeiten, ist ihr Zusammenhalt großartig. Der Ältere ist zwar mit Eintritt des Kleinen in den Betrieb von zu Hause ausgezogen in seine eigene Wohnung, aber das trat nur zufällig zum gleichen Zeitpunkt ein, er brauchte diese Form von Distanz generell. Sind auch nur 2 Straßen weiter, er ist fast täglich hier. Im Betrieb sind sie nur Kollegen (sie trennen das beide sehr fein), zu Hause richtige Brüder.
Mein persönliches Fazit: Hätten wir uns weniger eingemischt, sie weniger getrennt, hätten sie sich bestimmt trotzdem laufend gestritten (ich vermute, dass Geschwister auf diese Weise die Sache mit der sozialen Kommunikation lernen, denn beide standen in der Schule und auch jetzt im Betrieb in dem Ruf, sehr teamfähig und sozial zu sein und körperliche Rangeleien müssen bei Jungs wohl auch sein), aber bei weitem nicht so heftig und nervenaufreibend für alle. Unser übertriebenes Verhalten als Eltern war ihr Booster.
Meine Güte, was für ein Roman ..............
